Dr. Argie Kasprzik – Leitung Automatisierung der Sacherschließung (AutoSE) an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Standort Hamburg
Beruflicher Hintergrund & Werdegang.
Eigentlich stand für mich immer fest, dass ich möglichst ein Leben lang an der Uni bleiben möchte, aber während meiner Promotion in der Informatik wurde mir klar, dass der akademische Betrieb heutzutage nicht mehr der ist, den ich mir vorgestellt hatte. Ich musste mir also eine neue Nische suchen und bin auf das Referendariat für den höheren Dienst in Bibliotheken gestoßen. Zunächst war das für mich nicht mehr als ein Plan B und ich war ehrlich gesagt schon dabei, mich auf einen langweiligen Brotberuf einzustellen – am KIM Konstanz habe ich dann aber ein spannendes und anregendes Praxisjahr verbracht, in dem diverse meiner Fähigkeiten aus der Informatik gefragt waren, und das hat mich wieder ermutigt. Im anschließenden Theoriejahr an der Bibliotheksakademie Bayern gab es eine Handvoll Dozent:innen, deren Begeisterung mich weiter angesteckt hat und die mich auf Themen gebracht haben, die von meinen akademischen Interessen gar nicht so weit entfernt waren. Ab da habe ich gezielt darauf hingearbeitet, mich im Bibliothekswesen mit Aktivitäten rund um Wissensorganisationssysteme, semantische Technologien und andere Bereiche der Künstlichen Intelligenz zu etablieren. Ich wollte Brücken bauen – zwischen Informatik und Bibliothek, zwischen Theorie und Praxis – und habe relativ bald erfahren, dass das ein tieferes Verständnis nicht nur der fachlichen, sondern auch der kulturellen Eigenheiten beider Seiten erfordert. Das Referendariat und die ersten Berufsjahre haben es mir erlaubt, da eine gewisse Intuition aufzubauen – ich lerne weiterhin täglich dazu, aber bis jetzt fühle ich mich auf meiner fortlaufenden Gratwanderung ziemlich wohl.
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Bildnachweis Beitragsbild Dr. Argie Kasprzik: © Dr. Argie Kasprzik
Persönliche Erfahrungen.
Als Theoretiker mag ich Problemstellungen, die ich in ein formales Modell übersetzen kann, um dann an einer Lösung herumzutüfteln. Anfangs wollte ich nicht glauben, dass sich meine Kenntnisse aus Studium und Promotion im Bibliothekswesen in etwas Nützliches übersetzen lassen würden – aber gleich im Referendariat durfte ich ein ganzes Jahr lang einen Algorithmus entwerfen und programmieren, der die Konstanzer Systematik aufräumen sollte, und später an der TIB Hannover über viele Monate daran arbeiten, ein kontrolliertes Vokabular in eine maschinenlesbare Ontologie umzuformen. Beides hat mir ganz besonders Spaß gemacht. Mich mit den Unwägbarkeiten und Unsauberkeiten anzufreunden, die in der Praxis nun mal zwangsläufig auftauchen, hat eine Weile gedauert, aber im Laufe des letzten Jahrzehnts habe ich diese Mischung aus angewandter Theorie und pragmatischer Herangehensweise gründlich lieben gelernt.
Sinnstiftung & Mehrwert.
Das Arbeiten im Bibliothekswesen ist für mich deshalb bereichernd, weil es zentrale gesellschaftliche Ziele bedient: offene, benutzbare und sinnvolle Zugänge zu Wissen für alle Menschen und verschiedenste Zwecke zu schaffen. In einer Zeit, in der immer mehr – auch vordergründig auf öffentliche Interessen ausgerichtete – Bereiche von kommerziell anmutendem Business-Denken und der Jagd nach künstlichen Kennzahlen überschwemmt werden, empfinde ich das als ein Leitbild, das es zu schützen gilt. Das ist nicht immer ganz einfach und es wird zunehmend schwieriger, aber dafür gibt es mir das Gefühl, dass ich hier Mensch bleiben darf und mich nicht verleugnen muss.
Mir liegt das Thema Nachhaltigkeit ganz besonders am Herzen und ich freue mich darüber, dass sich mehr und mehr Bibliotheken ebenfalls zu diesem Ziel bekennen, sei es nun durch eine zunehmende Sensibilisierung für die Energiebilanz von IT-Projekten im Bereich der Künstlichen Intelligenz, CO2-ärmere Dienstreisen, auch wenn der Nachtzug mal mehr kostet als der innereuropäische Flug, oder … die Bienen auf dem Dach unseres Kieler Standortes! Und so ein Honigglas mit dem Logo der eigenen Einrichtung ist ein willkommenes Weihnachtsgeschenk (meistens nasche ich ihn aber selber weg).
Empfehlungen.
Im Referendariat und auch danach bekam ich schnell den Eindruck, dass sich das Bibliothekswesen „um seine Küken kümmert“, jedenfalls deutlich mehr als die freie Wirtschaft. Über die Jahre habe ich im Berufsleben immer wieder Menschen gefunden, die für mich eine Vorbild- und Mentoringfunktion eingenommen und sich dafür interessiert haben, was ich mache und wie es mir geht, auch wenn sie an ganz anderen Einrichtungen angesiedelt waren als ich. Dadurch habe ich mich im Großen und Ganzen gut aufgehoben und überregional vernetzt gefühlt.
Weil ich mit und an Methoden der Künstlichen Intelligenz zur Automatisierung von Erschließungsprozessen arbeite, bin ich fortlaufend mit den Herausforderungen von Innovationsvorhaben in diesem Berufsfeld konfrontiert und das hat mich gelehrt: Wer im Bibliothekswesen erfolgreich und zufrieden tätig sein möchte, muss ein Herz für historisch gewachsene Strukturen haben. Das bedeutet aber nicht, diese nicht anzutasten, im Gegenteil – für mich heißt das, aus diesen Strukturen immer und immer wieder die Essenz herauszudistillieren und in neue Schläuche zu gießen. Dazu braucht es Abstraktionsvermögen, Fingerspitzengefühl, Geduld und Spucke.
Das Arbeiten im Bibliothekswesen ist für mich deshalb bereichernd, weil es zentrale gesellschaftliche Ziele bedient: offene, benutzbare und sinnvolle Zugänge zu Wissen für alle Menschen und verschiedenste Zwecke zu schaffen.