Interview mit Dr. Astrida Wallat MEIN JOB BIBLIOTHEK: Stimmen aus der Bibliotheks-Community

Dr. Astrida Wallat, Leitung Bücherei im Bahnhof, Veitshöchheim

 

Beruflicher Hintergrund & Werdegang.

Nachdem ich meinen Traum, Opernsängerin zu werden (aus Mangel an Talent) aufgeben musste, war mir schnell klar geworden, dass ich ins »literarische Fach« wechseln würde. So habe ich in Würzburg Literaturwissenschaft studiert, danach in mehreren Verlagen gearbeitet, darunter als Redaktionsleiterin beim Reclam-Verlag in Stuttgart. Allein, irgendwann wurde die Sehnsucht nach meiner Heimat Franken übermächtig – aufgrund des dortigen Verlagsmangels kam ich mehr per Zufall zur Leitung der Veitshöchheimer Bücherei im Bahnhof. Wo sich gewissermaßen der Kreis schloss, hier hat man nämlich alles: Eine traumhafte Kulisse, viele Bücher, die man glücklicherweise nicht mehr selbst lektorieren muss, Kreativität, spannende Begegnungen mit Menschen, technische Herausforderungen. Und wenn es sein muss, auch ein bisschen Drama.
Heute sage ich mir häufig: »Warum hast du das mit der Bibliothek eigentlich nicht gleich gemacht?« Ja, warum nur?

Hier mehr über die Bücherei am Bahnhof erfahren.
Bildnachweis Beitragsbild Dr. Astrida Wallat: © Dr. Astrida Wallat

 

Persönliche Erfahrungen.

Wenn es gut läuft, sind Bibliotheken Orte, an denen alle sein können, was und wie sie sein wollen (vernünftiges Verhalten natürlich vorausgesetzt). Jede Interessenslage, Aktivität oder Frage findet ihren Platz. Umgekehrt bedeutet dies, dass man als Mitarbeiterin, von ganz klein bis ins Seniorenalter mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun hat, für die man verschiedene Angebote und Konzepte entwickeln muss/darf.
Zu uns kommen manchmal in der Früh die Bücherbabys, danach findet eine Einführung für die Grundschule statt, nachmittags trifft sich das Internetcafé für Senioren und abends der italienische Gesprächskreis. All dies an einem einzigen Tag. Eine solche Vielfalt muss ein anderes Berufsumfeld erst einmal schaffen …

 

Sinnstiftung & Mehrwert.

Ich persönlich bin der Meinung, dass Bibliotheken angesichts der vielfältigen, kaum noch zählbaren politisch-sozialen Krisen und Bedrohungen eine exponierte Bedeutung zukommt. Als Institutionen haben sie eine lange Tradition und somit den Hauch des Altvertrauten, zugleich hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung weg vom klassischen Ausleihbetrieb hin zu modernen Informations-, Kommunikations- und Partizipationsorten stattgefunden. Konsumfreie Treffpunkte, an denen nicht zuletzt Alleinstehende oder Neubürger zusammenkommen und sich vernetzen können, werden künftig sicherlich immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Die Bücherei im Bahnhof hat inzwischen sogar so etwas wie Markenpotential entfaltet. Unsere Bibliothek der Dinge heißt »Güter-Bahnhof«, die Bibliothekseinführungen für Kinder nennen sich »LOKin!«, wir verleihen Schirme mit unserem Logo, und auch die gut laufenden Social-Media-Kanäle nehmen das Thema »Bahnhof« immer wieder in Miniformaten auf, wofür wir viel positive Rückmeldung bekommen. Mit dem örtlichen Gymnasium haben wir sogar ein eigenes Bilderbuch über unsere Spielzeuglokomotive Veit im Lesegarten produziert, das der Lesenachwuchs nun beim ersten Büchereibesuch geschenkt bekommt.
Wenn die Kinder an der Ausleihe mit leuchtenden Augen nach Veit fragen, schenkt mir das echte Glücksmomente.

 

Empfehlungen.

Wer sich auf das Berufsfeld öffentliche Bücherei einlässt, hat einen äußerst vielseitigen, zukunftsträchtigen und sicheren Arbeitsplatz, in dem man aufgehen und sich als Persönlichkeit einbringen kann.
Wichtig sind ein Interesse an Menschen im Allgemeinen, Offenheit, die Befähigung, Dinge immer wieder neu zu gestalten, Toleranz gegenüber Andersdenkenden und – nicht zu verschweigen – ein gewisses Talent für Organisation und Verwaltung.
Als Leitung habe ich versucht, mein Team so aufzustellen, dass verschiedene Fähigkeiten zusammenkommen, die sich wechselseitig ergänzen und stützen. Keiner kann alles können, aber in einer kleinen Bücherei wie der unseren muss jede(r) eben doch vieles tun.
Und: Eine Bücherei kann immer nur so gut sein wie das Team, das sie trägt.

 

Entwicklungen & Zukunftsaussichten.

Technisches wird sicherlich eine immer größere Rolle spielen: Makerspaces, Robotik, Angebote für den Umgang mit Internet und Apps, gerade für ältere Leute. Spannend ist natürlich auch die Frage, inwieweit KI sich in öffentlichen Bibliotheken beheimaten und welche Funktion ihr dort zukommen wird.
Von Bedeutung wird sein, Raumkonzepte zu schaffen, die Begegnungen, Teilhabe und Kreativität ermöglichen. Große Zukunftsthemen sind weiterhin die Förderung demokratischen Denkens von Kindheit an, die Schulung eines Bewusstseins für Toleranz und Nachhaltigkeit. Zu all dem sind altersspezifische Konzepte zu entwickeln und umzusetzen.
Nicht zu vernachlässigen (es ist mir durchaus wichtig, dies zu betonen) ist bei all dem Neuen die Leseförderung. Das Buch, egal, ob analog oder digital, immer wieder auf moderne Weise in den Mittelpunkt zu rücken, begreiflich zu machen, dass Lesen nicht nur eine unverzichtbare Grundkompetenz, sondern zugleich ein großes Abenteuer darstellt, halte ich nach wie vor für eine zukunftsweisende Aufgabe. Meine Befürchtung ist nämlich manchmal schon, dass am Ende alle super mit Robotern umgehen, aber niemand ohne Hilfe von KI mehr vernünftige Sätze bilden kann.
Man sieht also: Es gibt viel zu tun …

 

Heute sage ich mir häufig: »Warum hast du das mit der Bibliothek eigentlich nicht gleich gemacht?« Ja, warum nur?

© Karl-Heinz Koch

© Rainer Wengel

© Stefan Duhr

© Rainer Wengel

Starte in Dein neues Kapitel und finde den passenden Job in unserer Bibliothekswelt.

© 2023 MEIN JOB BIBLIOTHEK | Kontakt | Impressum | Datenschutz
MEIN JOB BIBLIOTHEK - Ein gemeinsames Projekt der Verbände: