Interview mit Julia Borner MEIN JOB BIBLIOTHEK: Stimmen aus der Bibliotheks-Community

Julia Borner, Diplom-Bibliothekarin – Leitung Schulmediotheken in der Stadtbibliothek Gütersloh

 

Beruflicher Hintergrund & Werdegang.

Bibliotheken haben mich schon immer als Orte der Inspiration begeistert. Ich nutze sie, seit ich mich erinnern kann. Keine andere Einrichtung kann so individuell zur persönlichen Weiterentwicklung genutzt werden wie Bibliotheken, sei es für Schule oder Beruf, für das Erlernen eines Hobbys, zur Erweiterung des Horizonts oder oder oder. Dass das Wissen in Bibliotheken tatsächlich physisch vorhanden ist, nicht nur in Datenbanken oder auf Speichermedien, fasziniert mich auch heute noch, obwohl der Bestand in öffentlichen Bibliotheken sich stark verändert und seine Bedeutung eher abnimmt. Dass Bibliotheken den Zugang zu fantastischen Online-Ressourcen bieten, ist vermutlich viel zu wenigen Menschen bewusst.

Ich habe nach dem Abitur „Bibliothekswesen“ an der FH Köln studiert. Sowohl Studiengang als auch Hochschule heißen heute anders. Ich arbeite in der Stadtbibliothek Gütersloh und habe dort unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen. Zuerst war es die Öffentlichkeitsarbeit, später mehr die klassische Lektoratsarbeit. Seit 2018 leite ich das Team Schulmediotheken innerhalb der Stadtbibliothek. Wir betreuen mit sechs Kolleginnen auf 4,5 Stellen sieben Schulbibliotheken von der Förderschule bis zum Gymnasium.

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Bildnachweis Beitragsbild Julia Borner: © Stadtbibliothek Gütersloh

 

Persönliche Erfahrungen.

Die Arbeit in einer Schulbibliothek ist deutlich anders als die Arbeit in einer öffentlichen Bibliothek. Man sieht die Kundschaft viel regelmäßiger (vielfach täglich) und lernt sie gut kennen. Teilweise entsteht ein Vertrauensverhältnis, auch weil wir eben nicht zum Lehrpersonal gehören und als neutrale Personen wahrgenommen werden. Wir begleiten die Kinder von ihrem 10. bis zum 16. oder 18. Lebensjahr und so bekommen wir mit, wie aus Kindern Persönlichkeiten werden.

Wir haben ein digitales Leseförderungsprojekt entworfen, www.next-level-lesen.de. Dort können die Schülerinnen und Schüler, ähnlich wie bei Antolin, ihre gelesenen Bücher eintragen. Die EDV im Hintergrund errechnet über eine Schnittstelle mit unserer EDV die Höhe des Bücherstapels und macht ihn mithilfe eines Referenzbildes sichtbar. Und da die Kinder auch sehen können, wie ihr gemeinsamer Klassen- und Schulstapel wächst, sind sie stolz auf ihre gemeinsame Leseleistung und reden mehr über Bücher. Für viele ist es auch ein Anreiz, möglichst schnell ins nächste Level aufzusteigen. Lehrerinnen und Lehrer können einen gesonderten Zugang erhalten um zu sehen, wer aus ihrer Klasse vielleicht gerade einen Motivationsimpuls braucht. Mit Next Level möchten wir möglichst viele Kinder und Jugendliche über den berüchtigten Leseknick begleiten und vor allem die Kinder ans Lesen heranführen, die von ihren Eltern nicht die nötige Hilfe erhalten (können).
Unsere Evaluation hat gezeigt, dass durch Next Level einige Nicht-Leser:innen mit schwierigen Start-Voraussetzungen tatsächlich zu regelmäßigen Leser:innen geworden sind. Das ist schön zu sehen!.

 

Sinnstiftung & Mehrwert.

Schulbibliotheken leisten einen großen Beitrag für die Bildungsbiografien der Schülerinnen und Schüler. Die Colorado-Studie aus den USA belegt, dass diejenigen, die Zugang zu einer guten Schulbibliothek haben, in Tests rd. 20 % besser abschneiden als Schülerinnen und Schüler, die nur über eine schlechte (oder gar keine) Schulbibliothek verfügen. Derzeit ist die Leseförderung ein großes Thema. Ein Viertel der Viertklässler können nur einfachste Texte lesen, die Themen aufgreifen, die im Grunde schon bekannt sind. Hier können fachlich geführte Schulbibliotheken wichtige Beiträge leisten, wenn sie von Schulleitungen die Möglichkeit dazu bekommen.

 

Empfehlungen.

Bibliotheken sind mehr denn je bunte Orte der Kommunikation, Information, des Austausches und der Inspiration. Wer es mag, mit und für Menschen zu arbeiten, auch einmal vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen und sich für das lebenslange Lernen begeistert, ist in einer öffentlichen Bibliothek sehr gut aufgehoben.
Mir liegen besonders die Schulbibliotheken am Herzen und ich wünsche mir, dass es dort zukünftig viel mehr Fachpersonal gibt als heute. Der Reiz ist, dass man eine überschaubare Bibliothek als One-Person-Library führt und alle anfallenden Arbeiten von der Erwerbung über die Etatverwaltung und (schulinterne) Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Veranstaltungen mit Klassen selbst durchführt. Das ist sehr abwechslungsreich, erfordert viel Flexibilität und Einfallsreichtum und ist sehr erfüllend!

Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus kann ich sagen: Praktika sind wichtig, um ein realistisches Bild von einem zukünftigen Job zu bekommen, können aber auch ganz unmittelbar der Grundstein für den zukünftigen Job sein. Mehrere meiner Kolleginnen sind über Praktika während des Studiums zu ihrer Stelle gekommen.

Welche spezifischen Fähigkeiten oder Qualitäten sind wichtig, um erfolgreich in diesem Berufsfeld zu sein? Kommunikationsfähigkeit, Offenheit, Kreativität, Interesse an Menschen, Lernbereitschaft.

Welche Rolle spielen Teamarbeit und Kommunikation in der täglichen Arbeit? Eine große! In unserem Team leitet je eine Kollegin eine Schulmediothek, das heißt wir sehen einander nur zu Teamsitzungen. Dennoch versuchen wir, möglichst viel voneinander zu lernen und gemeinsame Projekte zu realisieren (z. B. Next Level, Gütersloher Jugendbuchpreis). Jede Kollegin ist darüber hinaus noch eng in ihr jeweiliges System Schule eingebunden. Kommunikation über die verschiedensten Kanäle nimmt einen großen Teil unserer Arbeit ein. Zum Glück gibt es inzwischen Cloud-Lösungen, um das Arbeiten an verschiedenen Standorten zu erleichtern!

 

Entwicklungen & Zukunftsaussichten.

Ich hoffe sehr, dass noch mehr Bundesländer dazu übergehen, Schulbibliotheken strukturell zu fördern, z. B. durch Fachstellen. Wo dies bereits umgesetzt ist, erhalten Schulbibliotheken, die vielfach ehrenamtlich oder durch persönlich engagierte Lehrkräfte besetzt sind, fachliche Unterstützung und praktische Hilfestellung in Form z. B. von Leseförderungs-Konzepten, gemeinsamen Online-Ressourcen o.ä. Auch konkrete Schulbibliotheksgesetze gibt es bisher leider nur in wenigen Bundesländern.

Ich wünsche uns als Gesellschaft gesetzliche Regelungen für Schulbibliotheken auf Länderebende. In fast allen europäischen Ländern sind Schulbibliotheken nicht die Ausnahme, sondern die Regel, häufig mit Fachpersonal. In Deutschland ist es umgekehrt: Die allermeisten Schulbibliotheken werden ehrenamtlich geführt, verfügen über kaum Etat, verwalten veraltete Bestände und erfahren keine Förderung. Nicht zuletzt die PISA-Studien belegen den Zusammenhang zwischen gut ausgestatteten Schulen (mit Schulbibliotheken) und guten schulischen Leistungen. Dass Schulbibliotheken hierzulande ein solches Nischendasein führen, ist traurig.

 

Bibliotheken sind mehr denn je bunte Orte der Kommunikation, Information, des Austausches und der Inspiration. Wer es mag, mit und für Menschen zu arbeiten, auch einmal vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen und sich für das lebenslange Lernen begeistert, ist in einer öffentlichen Bibliothek sehr gut aufgehoben.

© Detlef Güthenke

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