Stefan Duhr, M.A. – Abteilung Handschriften und Historische Drucke in der Staatsbibliothek zu Berlin
Beruflicher Hintergrund & Werdegang.
Die Entscheidung, in der Bibliothek arbeiten zu wollen, fiel bei mir am Ende der Schulzeit während der Abiturphase (1998/99). Hilfreich dabei war eine Berufsberatung seitens des Arbeitsamtes.
Während der Bewerbungsphase für den Ausbildungsberuf zum Fachangestellten wurde mir bewusst, dass ich doch lieber studieren wollte. Die Wahl zwischen der Fachhochschule Potsdam und dem Institut für Bibliothekswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin fiel auf letzteres, da ich neben Bibliothekswissenschaft als Zweitfach Geschichte studieren wollte. Bereits während des ersten Praktikums stellte ich fest, dass Formalerschließung, also die Erfassung formaler Merkmale (Verfasser, Titel, Umfang, Veröffentlichungsangabe etc.) von Büchern und anderen Medien in einer Datenbank, mein Ding ist. Während der folgenden Praktika war ich deshalb immer wieder auch in diesem Bereich tätig.
Meine Magisterarbeit befasst sich damit, wie freikirchliche Seminarbibliotheken in der DDR an Westliteratur gekommen sind. In einer dieser Bibliotheken habe ich am Ende meines Studiums im Rahmen einer Honorartätigkeit geholfen, die während der DDR-Zeit erworbene Literatur im elektronischen Katalog zu erfassen.
Nach einer gewissen Wartezeit konnte ich im Anschluss meines Studiums für vier Jahre als retrospektiv katalogisierende Honorarkraft in der Historischen Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom arbeiten. Dort hatte ich meine erste Begegnung mit Alten Drucken. Das sind Drucke des 16. bis 19. Jahrhunderts, die auf einer Handpresse gedruckt wurden. Meine damalige Projektleiterin vermittelte mir dazu eine passende Fortbildung an der Bayerischen Bibliotheksschule (heute: Bibliotheksakademie Bayern) in München.
Durch eigenes Bemühen während eines Bibliothekartags habe ich zudem eine Fortbildung in Hamburg für die Katalogisierung im Gemeinsamen Bibliotheksverbund (GBV) besucht.
Beides hat mir 2012 dabei geholfen, für das Projekt zur Erschließung und Digitalisierung der deutschen Drucke des 18. Jahrhunderts (VD18) an die Staatsbibliothek zu Berlin zu wechseln.
Heute bin ich in deren Abteilung Handschriften und Historische Drucke tätig und vertrete meine Bibliothek in den maßgeblichen Fachgremien.
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Bildnachweis Beitragsbild Stefan Duhr: © Stefan Duhr
Persönliche Erfahrungen.
Besonders schätze ich die Möglichkeit, durch meine Arbeit mit dazu beizutragen, dass Menschen sich bilden und forschen können. Dies geschieht, indem ich ihnen dabei helfe, durch eine optimale Beschreibung im Katalog die passenden Medien (in meinem Fall fast ausschließlich Bücher) zu finden.
Die Arbeit mit Alten Drucken bietet dabei die Möglichkeit, vorbei am Massenbetrieb moderner Medien mehr ins Detail zu gehen. So erfassen wir neben den formalen auch exemplarspezifische Merkmale wie Provenienzen, teilweise auch Einbände und Papiere.
Ein besonderes Anliegen ist mir die Beschreibung von Druckvarianten im Rahmen der Formalerschließung. Diese liefert der Forschung wichtige Informationen zur Textgenese bei der Vorbereitung von Editionen. Die Idee dazu kam mir bereits während meiner Tätigkeit für das VD18, da mir beim Abgleich unserer Exemplare mit den digitalisierten Exemplaren anderer Bibliotheken immer wieder Unterschiede aufgefallen sind. Insofern war es ein Glücksfall, dass ich diese Thematik während der Einarbeitung einer Sammlung von Drucken des französischen Schriftstellers der Aufklärung Voltaire vertiefen konnte. Entstanden ist daraus die Fortbildung „Fingerprintverfahren und Signaturformel als Mittel zur Unterscheidung von Druckvarianten“ (mehr Informationen), die ich nicht nur an der Stabi Berlin, sondern auch in anderen Bibliotheken anbiete, u.a. 2023 an der Bibliotheksakademie Bayern in München, womit sich ein Kreis schließt.
Besonders zufrieden bin ich damit, die Zeit während der Corona-Pandemie dafür genutzt zu haben, im Homeoffice die bisher nur auf Niederländisch und Englisch vorliegenden Regeln des STCN-Fingerprints zusammen mit einem Fachgremium, in dem ich Mitglied bin, ins Deutsche übersetzt zu haben (mehr Informationen). Mithilfe dieses Verfahrens können Druckvarianten besser unterschieden werden.
Ein anderes Produkt dieser Zeit ist die vertiefte deutschsprachige Beschreibung der bislang in diesem Umfang nur im Englischen vorliegenden Empfehlungen zum Kollationieren Alter Drucke durch den amerikanischen Bibliografen Fredson Bowers mittels einer Signaturformel (engl. collational formula). Mit Kollationieren ist hierbei die Beschreibung der in Lagen gebundenen Bogen eines Buchblocks gemeint.
Sinnstiftung & Mehrwert.
Sinnstiftend ist für mich dabei besonders die bereits erwähnte dienende Funktion für die Bildung und Forschung. Die Tätigkeit im Rara-Lesesaal der Stabi Berlin im Rahmen der Ausleihe und Benutzung bietet den direkten Kontakt zu Leserinnen und Lesern, von denen ich mitunter Fragen nach oder zu einem bestimmten Thema oder Buch gestellt bekomme. Dazu kommen Anfragen, die über die Auskunft meiner Abteilung an mich weitergeleitet werden. Einmal ging es beispielsweise um die Ermittlung des bibliografischen Formats eines Alten Druckes. Anders als das Aufstellungsformat, das sich nach der Buchrückenhöhe richtet, geht es dabei um die Falzung des Druckbogens, was wesentlich mehr Kenntnisse voraussetzt und deshalb auch Teil meiner zuvor erwähnten Fortbildung ist.
Die Stabi Berlin bietet für ihre Benutzerinnen und Benutzer u.a. den Service der Wissenswerkstatt an, wo Kenntnisse und Fähigkeiten für die wissenschaftliche Arbeit vermittelt werden. Ich biete dort, bedingt durch meine Beschäftigung mit Druckvarianten, einen Online-Workshop zu text- und bildvergleichenden Softwaretools an.
Empfehlungen.
Wenn man einen gewissen Ordnungssinn hat, offen ist für alte und neue Medien und interessiert daran ist, Informationen zu sammeln, aufzubereiten und zu vermitteln, bringt man gute Voraussetzungen für die Arbeit in der Bibliothek mit. Hinzu kommt die Bereitschaft sich selbst weiterzubilden und anderen bei ihrer Recherche weiterhelfen zu wollen.
Die Arbeit in einer Bibliothek ist zudem weniger stark von kommerziellen Aspekten geprägt.
Wer sich dafür interessiert, sollte überlegen, über ein Praktikum das Berufsfeld Bibliothek kennenzulernen. Generell empfehle ich, auch während des Studiums möglichst viele Praktika zu absolvieren, auch um Kontakte zu möglichen Arbeitgebern zu knüpfen und von den Erfahrungen derjenigen, die dort bereits tätig sind, zu profitieren.
Mir ist es ein Anliegen, dass Studierende gerade in Praktika die praktischen Kenntnisse erwerben, die ihnen dabei helfen, in einem späteren Bewerbungsverfahren den Mut aufzubringen, ins Berufsleben einzusteigen. Die HTWK Leipzig bietet mit der Profillinie Historische Bestände in ihrem Masterstudiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft eine gute Voraussetzung, um anschließend mit Alten Drucken arbeiten zu können. Ich sehe gerade Einrichtungen wie die Staatsbibliothek zu Berlin mit ihrem großen Bestand an historischen Drucken in einer besonderen Verantwortung, jungen Menschen auch in diesem Bereich einen Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen.
Ich habe das Thema der Nachwuchsgewinnung auch bereits in das für den Verbundkatalog K10plus zuständige Gremium eingebracht und das Gespräch mit der HTWK Leipzig und dem buchwissenschaftlichen Studiengang der Universität Mainz gesucht. Da in den kommenden Jahren viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen, gewinnt dieses Thema immer mehr an Bedeutung.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Fortbildung von Kolleg:innen, die bereits mit Alten Drucken arbeiten. Dazu habe ich auf der von mir betreuten Wiki-Seite des zuständigen K10plus-Gremiums entsprechende Informationen für alle zur Verfügung gestellt (mehr Informationen).
Entwicklungen & Zukunftsaussichten.
Auch wenn digitale Medien bereits einen großen Teil der Neuerwerbungen ausmachen, so wird die vermittelnde Tätigkeit der Bibliotheken nicht an Bedeutung verlieren. Ein besonderes Gewicht hat dabei ihre nicht kommerzielle Ausrichtung auf Bildung und Forschung.
Auch die Erschließung Alter Drucke wird weiterhin von Bedeutung bleiben. Momentan liegt der Trend in diesem Bereich bei der Provenienzerschließung. Ich bin aber zuversichtlich, dass auch die Formalerschließung nach wie vor grundlegende und vertiefte Metadaten liefern wird. Manche Aufgaben werden sich auch in absehbarer Zukunft nicht automatisiert lösen lassen.
Andere Aspekte, wie die Einbanderschließung und die Papierbestimmung sowie die Beschreibung der Typografie und des Buchschmucks, könnten an Bedeutung gewinnen. Momentan ist vieles aufgrund der begrenzten Personalkapazitäten in diesem Bereich nur eingeschränkt möglich.
Besonders schätze ich die Möglichkeit, durch meine Arbeit mit dazu beizutragen, dass Menschen sich bilden und forschen können.